Das Sachbuch im Hörformat: Potential und ungenutzte Chancen

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Chris Kling
Sachbücher sind längst keine langweiligen Textwüsten mehr, sondern oft unterhaltsame Werke, die erzählerisch, spielerisch und auch grafisch die Leser fesseln. Doch wie sieht es bei Hörbüchern aus? Über die Chancen und ungenutzten Potentiale von Audio im Non-Fiction-Segment.

Der Audiomarkt nimmt Fahrt auf und der Hörbuch-Hype macht auch nicht vor dem Sachbuch halt. Immer mehr Autoren und Verlage experimentieren mit Wissensvermittlung im Hörformat – gerade bei erfolgreichen Ratgebern und im populärwissenschaftlichen Segment. Doch in der Entwicklung und Gestaltung des Formats zeigt sich bisher nur seltener frischer Wind und kreativer Geist: Ein Hörbuch wird mehrheitlich immer noch als eine vorgelesene Variante der Buchausgabe aufgefasst, meist von einem Leser.

Während andere Branchen das Format Audio schon voll ausnutzen, scheint der Buchmarkt in der Masse die größten Assets zu übersehen. Wir haben in den vergangenen Jahren viele Erfahrungen mit auditiver Wissensvermittlung insbesondere für Kunden aus der Industrie sammeln dürfen. Auch bei manchen Buch- und Verlagskunden konnten wir in ausgewählten Anteilen neue Ansätze mit in die Arbeit fließen lassen und möchten im Folgenden einige unserer Erkenntnisse teilen. Doch während der Hype andauert, sei schon zu Beginn auch auf die Grenzen des Formats hingewiesen:

Nicht jeder Content eignet sich als Hörbuch

Gerne erzähle ich das Beispiel eines namhaften deutschen Verlages, der ein umfangreiches Kompendium im Business-Bereich, eher ein Nachschlagewerk, als Hörbuch hat umsetzen lassen. Wenig verwunderlich blieb es das bislang einzige Hörbuch des Verlages. Hängen blieb mir auch eine Hörbuch-Umsetzung eines Sprachlernbuches, das daraus bestand, die Beispielsätze, grammatikalischen Regeln und Vokabellisten einfach vorzulesen. Auch wenn mir hierzu keine Zahlen vorliegen, bin ich mir sicher, dass der Lernerfolg der Schüler sowie der generelle Verkaufserfolg des Audiobooks überschaubar geblieben sein dürfte.

Audio kann auch nicht alles: Nachschlagewerke, lexikalische Werke, Kompendien und weitere Buchformen funktionieren in aller Regel nicht gut im Audioformat.

Audio kann viel, jedoch auch nicht alles: Nachschlagewerke, lexikalische Titel, Kompendien und weitere Buchformen funktionieren in aller Regel nicht gut im Audioformat. Natürlich lassen sie sich recht unproblematisch umsetzen in das Hörformat, deren Wertschöpfung für den Hörer wird jedoch hinter dem Medium Print und eBook hinterherhinken: Schnell eine betreffende Stelle zu finden ist (noch) nicht möglich und „mal kurz durchblättern“ eben auch nicht. In den derzeitigen Verbreitungs- und Vertriebsformen ist ein Hörbuch dazu ausgelegt, zeitlich linear konsumiert zu werden. Außerdem ist die Informationsdichte in solchen Werken oft so hoch, dass sie nicht gut für die auditive Auffassungsgabe ausgelegt sind und den Hörer eher überfordern als didaktisch zu unterstützen.

Eine andere Grenze sind Bücher oder Inhalte, die sehr stark von einer visuellen Ebene abhängig sind. Bei Sachbüchern betrifft das vor allem Werke, die maßgeblich aus Grafiken, Bildern, Diagrammen, Flowcharts oder Tabellen bestehen. Doch oft sind diese Elemente nur ein ergänzender Teil zum Erkenntnisgewinn – und das bringt uns zum nächsten Punkt:

Gute Adaptionen sind nötig, um das Potential von Audio voll auszuschöpfen

Dass ein Buch sich gar nicht als Hörbuch eignet, ist tatsächlich nicht so oft der Fall. Vielmehr sind es einzelne Teilbereiche, die aufgrund mehrerer Faktoren nicht direkt ohne Anpassungen umsetzbar sind: Schaubilder, Diagramme, Tabellen, Fußnoten, Fragebögen und weitere Dinge sind es oft, die man weder Vorlesen noch Weglassen kann oder sollte. Ein kreativer Umgang mit den Stärken des Audioformats kann dieses Problem lösen, wenn dabei beachtet wird dass Hörer meist andere Ansprüche und Anforderungen an einen Titel haben als Leser. Wie schon im vorherigen Punkt erwähnt: Die Auffassungsgabe im auditiven Bereich funktioniert anders. Wohingegen Leser komplexe Tabellen und Diagramme anschauen können, unterstreichen, nachschlagen und Randnotizen machen, ist der Hörer meist nicht in der Situation das umzusetzen. Statistiken zeigen, dass Hörbücher (ähnlich wie Podcasts) weitestgehend im Auto, Zug oder beim Verrichten anderer Tätigkeiten gehört werden. Insofern ist es nicht verkehrt Tabellen oder Schaubilder auf ein paar wenige anschauliche Fakten herunterzubrechen oder manche Dinge geschickt in ihrer Komplexität etwas verkürzt darzustellen, um sie für die auditive Auffassung zu optimieren.

Es gilt kreative Lösungen zu finden, welche die Stärken des Audioformats nutzen. Dabei sollte immer beachtet werden, dass Hörer meist andere Ansprüche und Anforderungen an einen Titel haben als Leser.

Auch die Komplexität der Sprache und der Sprachstil spielt eine Rolle. Gerade in der deutschen akademischen Welt sind Schachtelsätze immer noch beliebtes Mittel. Diese sind im Hörformat nicht gut umsetzbar: Hörer haben schwerlich die Möglichkeit einen Satz zweimal durchzuhören und/oder wirken zu lassen, können das Tempo nicht so individuell anpassen, wie das beim Lesen der Fall ist. Insofern sollte die Informationsdichte den Hörer nicht überfordern. Doch auch bei sehr dichten Titel gibt es bewährte Methoden, die Aufmerksamkeit des Hörers aufrecht zu erhalten:

Wechselnde Stimmen wirken konzentrationsfördernd

Wenn man die Aufmerksamkeit der Hörerschaft dauerhaft aufrecht erhalten möchte, ist ein regelmäßiger Wechsel der Vortragenden ein sehr effizientes Mittel. Das ist schon jahrzehntelang als Best-Practice bei Keynotes und Präsentationstechniken etabliert und gehört hier zum kleinen Einmaleins. Die einzelnen Einheiten einer Stimme sollten nicht zu lang sein und gut durchmischt, sodass durch die Dynamik des Szenenwechsels unsere Aufmerksamkeit wieder angeregt und aufs Neue herausgefordert wird.

Auch eine andere Herausforderung lässt sich damit gut umsetzen: Oft gibt es in Printausgaben analog zur eben angesprochenen Technik auch kleine „Szenenwechsel“: Durch Infoboxen, eingerückte Passagen, Exkurse, Fallbeispiele, Anhänge und vieles mehr wird Schriftbild und Kommunikationsfluss aufgelockert. Im Print ist dieser Bruch oft durch Gestaltung und Layout umgesetzt. In der Audio-Adaption führt der Stimmwechsel dazu, die Lernkurve und den Anteil des vermittelten Wissen deutlich schneller und direkter aufzunehmen als das mit rein visueller Kommunikation möglich wäre. Doch nicht nur das:

Hörbücher können mehr als nur Sprache

Während wir bei der Buchadaption oft mehr oder weniger damit beschäftigt sind, die Grenzen des Audioformats zu umschiffen und angepasste Lösungen zu finden, ist es doch naheliegend, möglichst viel darauf einzugehen, was ein Buch nicht kann: Klingen! Durch das Hinzufügen einer weiteren Ebene entsteht sogar noch mehr Potential: Sounddesign, akustische Trenner, kleine Musicbeds oder auch immersive Klangwelten helfen uns, Empathie und Emotionen hervorzurufen, und somit Informationen und Erkenntnisse stärker im Gedächtnis zu binden. Das sind entscheidende Assets, die auf visueller Ebene nur schwerlich so unmittelbar vermittelt werden können.

Sounddesign und Klangwelten helfen uns, Empathie und Emotionen hervorzurufen, und somit Informationen und Erkenntnisse stärker im Gedächtnis zu binden. Wir müssen uns klar machen: Audiobooks stehen im Wettbewerb um die Freizeit der Hörerschaft – und die ist stark umkämpft.

Wir müssen uns klar machen: Sachbücher als Hörbuch werden nicht im Hörsaal oder Klassenzimmer gehört und auch nicht am Schreibtisch: Sondern im Zug, Auto, bei der Hausarbeit oder auf der Couch: Grob gesagt: Audiobooks stehen im Wettbewerb um die Freizeit der Hörerschaft. Und die ist mittlerweile ganz schön verwöhnt: Wir sind heute durch die Omnipräsenz von hochwertigen Medienprodukten der On-Demand-Anbieter wie Netflix, Blinkist und tausenden von Podcasts anspruchsvoller geworden. Inhalte sollten kurzlebig, auf den Punkt und bestenfalls unterhaltsam dargeboten werden. Im Branding und Design ist das Storytelling längst zum Buzzword geworden. Im Audiobereich ist hier jedoch sicherlich noch viel Potential, das speziell im Non-Fiction Bereich noch nicht ausgeschöpft wurde. Eigentlich verwunderlich, wenn man bedenkt, dass die auditive Erfassung von Informationen durch Geschichten die Älteste aller Kommunikationsformen überhaupt ist.

Ausblick: Audio ist mehr als nur Hörbuch

Die Medien- und Verlagswelt ist seit dem viel besungenen Audio-Hype dabei, die Möglichkeiten von Audiobooks und Podcasts im Mainstream auszunutzen und neue Anwendungsfälle und Monetarisierungsoptionen dieser Formate zu erschließen. Doch keins dieser Formate ist neu, unsere Definition und Konzeption dessen, was sie darstellen sind oft mal schon gesetzt.

Die omnipräsente mobile Verfügbarkeit von (mitunter längeren) Audioinhalten ist erst gewährleistet, seitdem mobiles Internet und Smartphones der Bevölkerungsmehrheit zur Verfügung stehen. Eine recht neue Errungenschaft im Vergleich zum gedruckten Buch. Daher ist die Denkrichtung visuelle Inhalte ins Auditive umzusetzen nachvollziehbar. Diese gedankliche Barriere hemmt jedoch oft die kreative Produktgestaltung: Audio kann durch seine Unmittelbarkeit und einfache Konsumierbarkeit mehr als oft nur wahrgenommen wird. Insbesondere die auditive Vermittlung von Lern- und Sachinhalten bietet deutlich mehr Chancen als sie momentan auf dem Hörbuchmarkt genutzt werden – für Unternehmen, Verlage aber auch Self-Publisher.

Hörinhalte können außerdem auch in völlig anderen Vertriebs- und Vermarktungsformen erfolgen. Viele Unternehmer, die nicht aus dem Buch- und Verlagswesen kommen, setzen hier schon heute schnelle und kreative Lösungen um, ganz abseits der etablierten Strukturen. Der Trend bei der Wissensvermittlung geht weg vom Bildschirm: Beispielsweise kann eine sinnvoll gestaltete Audio-Learning-Staffel hier einen starken USP aufrufen und lässt sich äußerst leicht in gängige Plattformen und Funnels integrieren. Auch ganz abseits der gängigen Vertriebsstrukturen von Audible & Co..

Es ist für mich durchaus vorstellbar, dass in Zukunft guter „Audio-First“-Content produziert wird, zu dem es vielleicht ein Begleitdokument im eBook- oder Printformat gibt.

Dazu ein Denkanstoß: Als Google Ende 2016 ankündigte, durch die anstehende Mobile-First-Indexierung bald nicht für das Smartphone optimierte Inhalte in deren Suchergebnissen abzustrafen, hatte das direkte Auswirkungen: Webagenturen und Designer übernahmen recht schnell diesen Ansatz und gestalteten erstmals Webseiten, die zuallererst auf dem Handy gut funktionierten und machten sich danach erst über die Umsetzbarkeit für Desktopsysteme Gedanken – nicht umgekehrt. Natürlich gab und gibt es hier sowohl Early Adopter als auch Nachzügler, die sich nicht mit dem Mobile-Browsing anfreunden können – letztendlich bleibt es eine Zielgruppenfrage. Aber dennoch sehen wir große Potentiale darin, Inhalte als „Audio-First“ zu denken. Gerade im Non-Fiction/Educational Segment sehen wir die auditive Wissensvermittlung als sehr starkes Format an, immerhin kennen wir es alle: Aus der Schule. Es ist für mich durchaus vorstellbar, dass in Zukunft vermehrt guter „Audio-First“-Content produziert wird, zu dem es vielleicht ein Begleitdokument im eBook- oder Printformat gibt.

Ich bin gespannt wie sich diese Entwicklung in der Zukunft fortsetzen wird, denn der Bedarf ist auf jedem Fall vorhanden: Aus dem jährlich erscheinendem Audible Audio Compass 2022 geht hervor, dass sich 56% der Befragten begeistert über speziell fürs Hören geschriebene Geschichten bekannter Autoren äußern. Uns sogar drei Viertel der Befragten sind der Meinung, dass Anbieter von Hörprodukten einige Audio-First-Inhalte in ihrem Portfolio haben sollten.

Quellen:
https://www.boersenblatt.net/audio-compass-2022

Relevante Case Studies aus unseren Studios:

FLEAT – Vom Unternehmen zur agilen Flotte (Haufe)

Das ganze Buch beruht auf Seefahrtsvergleichen und Begriffen aus der Nautik – und ist daher von Sprache und Layout sehr bildlich und optisch ansprechend gestaltet. Wir begriffen dies als eine Einladung diese Thematik auch auditiv aufzugreifen: Infoboxen wurden von anderen Stimmen gesprochen,mit Soundlogos angekündigt und Zitate mit Sounddesign unterlegt – sogar eine Seeschlacht wurde im Studio zusammengestellt! Auch wenn dieser Titel eher als internes Projekt gestaltet wurde, als auf dem freien Markt zu bestehen, sehen wir hier einen großen Nutzen für die Hörerschaft.

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Besser machen! (adeo/Gerth Medien)

Die Printausgabe beruht auf einem Gespräch zwischen dem Leiter von World Vision Deutschland und des Meteorologen und ARD-Wettermoderators Sven Plöger. Es lag also nahe, das Buch ebenfalls in dialogischer Form von den Protagonisten selbst einsprechen zu lassen. Durchsetzt von einer weiblichen Erzählstimme entsteht hier ein kurzweiligeres Hörgefühl. Insgesamt ein Hörformat, das vielversprechend erscheint und man weitergedacht sogar sprachlich noch lockerer fassen könnte. Außerdem: Svens Zusatz zum kurz nach den Aufnahmen einsetzenden Hochwasser im Ahrtal wurde authentisch als Zoom-Call angehängt.

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